Im Dezember 2018 weihte die Wilhelmshavener Spar- und Baugesellschaft eG das erste energieautarke Mehrfamilienhaus Deutschlands ein. Die Initiatoren waren stolz auf diesen Meilenstein für die gesamte Wohnungswirtschaft. Denn die Bauweise des Gebäudes ermöglicht es der Genossenschaft, eine Pauschalmiete zu kalkulieren, die mit 10,50 Euro/m2 neben sämtlichen Betriebs- und Heizkosten auch den individuellen Strombedarf der Mieter berücksichtigt. Was wie ein energetischer Freibrief für die Mieter wirkt, war nur aufgrund der konsequenten Entscheidung möglich, die Sonne als zentrale Energiequelle zu nutzen.
Das Konzept für das energieautarke Mehrfamilienhaus stammt von Energieexperte Timo Leukefeld, der seit vielen Jahren Mitglied im Sonnenhaus-Institut e.V. ist und beim Projekt beratend zur Seite stand. Er fasste hier Baustandards wie das Sonnenhaus, das Plusenergie- oder Effizienzhaus Plus und das Passivhaus zusammen und entwickelte sie konsequent weiter.
Mieter profitieren von wegweisendem Konzept und langfristiger Kostensicherheit
Mit 165 Quadratmeter Photovoltaik-Fläche und 96 Quadratmeter Solarthermie-Fläche auf dem Dach, an der Fassade sowie an den Balkonverkleidungen des zweistöckigen Wohngebäudes, dazu zwei Batteriespeichern mit 22 kWh sowie dem Herzstück des Hauses, einem 20.000 Liter fassenden Schichtenspeicher, sorgt diese Bauweise für einen Autarkiegrad von rund 65 Prozent.
Und diese Autarkie kommt den Mietern der sechs 90 Quadratmeter großen Wohnungen täglich zugute. Sie sparen im Vergleich zu einer konventionellen Neubauwohnung in Wilhelmshaven nicht nur rund 120,- € monatlich an Gesamtkosten, sondern sie profitieren gleichzeitig von langfristiger Kostensicherheit und dem komfortablen Umstand, den persönlichen Verbrauch von Strom und Heizung nicht mehr vom Geldbeutel abhängig machen zu müssen.
Das ist ein Novum in der Wohnungswirtschaft, das wirklich gut bei Mietern ankommt, wie die „Spar und Bau“ schon bei der ersten Vermietung feststellte.
Getroffene Annahmen und Berechnungsgrundlagen bewahrheiten sich im Betrieb
Die tragenden Säulen des energieautarken Konzepts sind zum einen die Solarthermie auf dem Dach, die aus Sonne heißes Wasser erzeugt, und zum anderen der große Langzeitwärmespeicher, der über mehrere Wochen Wärme speichern kann. Solarthermie hat einen dreimal so großen Wirkungsgrad wie Photovoltaik. Bei den zugrunde gelegten Berechnungen ging man von einem Autarkiegrad von rund 70 Prozent aus.
Die Auswertung nach einem Betriebsjahr zeigte, dass die für das Pilotprojekt getroffenen Annahmen und Berechnungsgrundlagen auch dem Realitätscheck standhalten. Der Gesamtenergieverbrauch des energieautarken Mehrfamilienhauses lag bei 36.579 Kilowattstunden (20.475 kWh Wärme, 16.104 kWh Strom).
Demgegenüber steht ein solarer Ertrag durch die Photovoltaik- und Solarmodule in Höhe von 37.964 Kilowattstunden (22.152 kWh Wärme, 15.812 kWh Strom).
Insgesamt hat das Objekt zunächst einen Energieüberschuss erwirtschaftet.
Dabei muss man aber berücksichtigen, dass die witterungsabhängige solare Energiegewinnung nicht durchgängig im zeitlichen Einklang mit dem nutzerbedingten Energieverbrauch steht. Der um diesen Faktor bereinigte Autarkiegrad liegt bei rund 65 Prozent – also sehr nah an den Erwartungen. Und von Frühjahr bis Herbst kann das Haus solare Energieüberschüsse an die Nachbargebäude und ins öffentliche Netz abgeben.
Die Verbrauchsobergrenzen für Wärme/Strom und Wasser sind auskömmlich
Was das Haus in den Wintermonaten an Wärmebedarf nicht aus der Kraft der Sonne gewinnt, deckt eine Erdgasbrennwertheizung ab. Strom wird dann bei Bedarf ergänzend aus dem öffentlichen Netz bezogen.
Das funktioniert sehr gut, wie der technische Leiter der Gesellschaft, Meike Heiner Gerdes, bestätigt: „Für Strom und Heizung berücksichtigt die Pauschalmiete jährliche Verbrauchsobergrenzen von 3.000 Kilowattstunden und 100 Kubikmeter Wasser pro Wohneinheit. Diese Kalkulation geht sowohl für uns als Vermieter als auch für unsere Mieter auf. Die in der Pauschalmiete berücksichtigten Verbrauchsobergrenzen für Wärme/Strom und Wasser sind auskömmlich bemessen, so dass für diese Positionen keine Nachberechnung erforderlich war.“
Störungsfreier Betrieb der Haustechnik
Bis zum heutigen Tag gibt es zudem keinerlei technische Probleme, die Haustechnik arbeitet einwandfrei und zuverlässig. In den Wohnräumen installierte Displays informieren die Mieter täglich über ihre aktuellen und bisherigen Verbrauchswerte. Im Hauseingang zeigt ein Flachbildschirm den tagesaktuellen und bisher erzielten solaren Ertrag des gesamten Gebäudes sowie die Gesamtverbräuche an.
Das bedeutet zu jeder Zeit Kostenkontrolle und Transparenz – und hat die Erstmieter überzeugt. „Dass die Energie der Sonne so effektiv genutzt werden kann, ist schon faszinierend. Es ist praktisch, dass wir unsere Verbräuche über ein Display überwachen können“ sagt das Ehepaar Frerichs, das im Januar 2019 in eine der sechs Wohnungen zog. „Wir sind von der ganzen Technik sehr begeistert. Die Fußbodenheizung macht es möglich, dass keine Heizkörper mehr notwendig sind und sie heizt wirklich sehr gut. Auch das Konzept der Lüftungsanlage, die vermieterseitige Kücheneinrichtung mit energieeffizienten Geräten, der tolle Zuschnitt der Wohnung und dass wir Energie sparen können, begeistert uns.“
Das Haus wird zur E-Tankstelle
Und noch etwas sorgt bei den Mietern für Zuspruch: das E-Carsharing-Angebot. Jedes Genossenschaftsmitglied kann einen elektrischen Renault Zoe nutzen, der in der Bismarckstraße 33 vor dem energieautarken Mehrfamilienhaus seinen Stammparkplatz hat. Denn dort bezieht er seinen Strom aus einer Ladesäule, die aus den Energieerträgen des Hauses gespeist wird. An einem zweiten Ladepunkt können unsere Mieter auch eigene Elektrofahrzeuge „betanken“.
Technischer Leiter Gerdes: „Damit leisten wir als Vermieter einen Beitrag zu umweltfreundlicher Mobilität. Wir regen damit vielleicht den einen oder anderen Mieter dazu an, die Wahl seines Verkehrsmittels bewusst zu überdenken und den eigenen ökologischen Fußabdruck durch die Nutzung eines mit regenerativem Strom betriebenen Autos zu verringern.
Mit dem Konzept des energieautarken Mehrfamilienhauses haben wir in der Immobilienwirtschaft beim Thema Klimaschutz landesweit eine Vorreiterrolle eingenommen. Und weil wir hier zwei Drittel des Bedarfs an Strom und Wärme aus eigenen Ressourcen erzeugen können, sind wir in der Lage, den Mietern langfristig günstiges und kostensicheres Wohnen zu garantieren. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob vernetzte Energieautarkie auch für andere Wohnungsunternehmen ein tragfähiges Konzept sein kann.“